Ein Gespräch zwischen Jesko Fezer und Christian Berkes über Planungsverständnisse, die Organisation von Gruppenprozessen, Gentrifizierung und manchmal unübersichtliche Begehren in der Architektur.
Soziale Wohnformen und flüchtige Begehren
CB: Du bist gemeinsam mit ifau (institut für angewandte urbanistik) und dem Büro Heide & von Beckerath einer der Architekten des Baugruppenprojektes R50 in Berlin. Worum geht es für dich bei diesem Projekt?
JF: Im Prinzip nehme ich zwei Perspektiven ein. Die eines Architekten und die eines Mitglieds der Baugruppe. Aus der Sicht des Architekten ist das Projekt in der Ritterstraße 50 das Ergebnis einer längeren Auseinandersetzung mit Wohnungsbau, mit dem Phänomen Baugruppen und auch mit der Möglichkeit und der Idealität von Genossenschaften. ifau und ich haben zusammen – in den Jahren bevor wir die Baugruppe initiiert und das Projekt entwickelt haben – immer wieder architektonisch und auch in Gesprächen mit baugenossenschaftlichen Akteuren, die Frage erörtert, wie man nach der Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus „sozialen Wohnungsbau“ machen kann. Das Projekt steht letztlich in dieser Diskussion. Es ist nicht Ergebnis der Diskussion, es ist nicht die richtige Antwort auf die Fragen, aber es ist vor diesem Hintergrund entstanden. Und hier liegt auch das architektonische Ziel: Ein Projekt umzusetzen, welches sich städtebaulich, ökonomisch sowie bezüglich des Zusammenwohnens und der internen Organisation einer Gruppe mit der Frage auseinandersetzt: Kann man neue soziale Wohnformen entwickeln?
CB: Kann man sagen, dass das Baugruppenprojekt eine Reflektion oder ein Test eurer Arbeit als Büro ist?
JF: Ja, aber eigentlich ist das jedes Projekt. Es ist uns wichtig, dass man Anforderungen an ein Projekt stellt, dass man nicht pragmatisch in ein Projekt hineingeht, sondern pragmatisch herauskommt. Das heißt, dass man bestimmte Vorstellungen, Ziele und Annahmen, was die Arbeitsweise, die Ökonomie oder auch politische Fragen betrifft mitbringt und diese dann im Projekt verhandelt, löst oder halt auch irgendwann ignoriert. Eben auch das ist bei diesem Projekt ein wichtiger Punkt, da die Frage nach dem Wohnungsbau insgesamt so groß und relevant ist, dass ein Projekt diese ohnehin nicht beantworten kann. Gerade weil es sich dabei auch um strukturelle Fragen des Wohnungsbaus handelt, die auf der Ebene eines Hauses und eines Grundstückes nicht zu fassen sind.
CB: Ihr habt bestimmte persönliche Motivationen und Ziele, die ihr mit dem Projekt verfolgt. Wie verstehst du die Ziele? Sind diese entwicklungsfähig, sollen sie sich entwickeln?
JF: Die Ziele sind ja eher Vorstellungen, wie etwas angenehmer, besser sein könnte und natürlich eine Richtung, in die man gehen will. Dabei wird es immer einen intensiven Praxisabgleich geben. Vielleicht entwickelt man im Prozess dann auch Bedürfnisse, die in andere Richtungen gehen. Oder man geht über die bestehenden hinaus indem man merkt, dass sie nicht so funktionieren, wie man sich das vorgestellt hat. Oder man findet bestimmte Ansätze plötzlich doch zu wild. Es werden auch ganz selbstverständliche weitere Ziele hinzukommen. So zum Beispiel, dass man neben der Betrachtung der wirtschaftlichen Seite eben auch ein Haus baut, das ökologisch gut funktioniert. Ich glaube jedoch nicht, dass solche persönlichen Ziele in ihrer Entwicklung überschaubar sind. Es sind eher Defizite, die man in der Beschreibung seiner aktuellen Lebenssituation sieht. Man glaubt, dass diese beispielsweise durch die Beteiligung an einer Baugruppe überwunden oder gelindert werden könnten. Wie diese sich verändern oder anpassen weiß man nicht.
Mit späten Entscheidungen gegen das architektonische Maximum
CB: Wie würdest du die jetzige Auseinandersetzung in der Baugruppe beschreiben?
JF: Die Auseinandersetzung wandelt sich stark im Verlauf des Projektes. Es gibt bestimmte Phasen, wo die Diskussion eher zwischen den Planern und den Baugruppenmitgliedern verläuft. Ein anderes Mal gibt es Fragen, die die Gruppe untereinander diskutiert – über Aspekte wie den Gemeinschaftsraum, den Außenbereich, das Treppenhaus oder die Dachterrasse. Das sind immer Gruppenentscheidungen. Jetzt sind wir gerade in einer Phase wo wir für den Gemeinschaftsraum noch einmal eine diskursive Zwischenebene einziehen, nachdem es in der Diskussion schon mehrere Schnitte gab. Es geht darum, Entscheidungen zu treffen und zu sagen: So wollen wir es bauen. Auf der anderen Seite geht es dabei auch immer um die Feststellung dessen, was wir noch offen halten wollen, um später daran weiterarbeiten zu können. Das sind eher konsensorientierte Diskussionen. In diesen – und das ist eines unserer Grundprinzipien – versuchen wir zuerst einmal das Minimale – den Minimalkonsens – in den architektonischen Prozess einzubinden. Wir plädieren dafür, die Maximalforderung zum Beispiel nach einem ausgebauten Gästezimmer oder nach einem Kinderspielplatz nicht auszuschließen, aber zu verschieben.
CB: Was waren das für Schritte oder Schnitte, von denen du sprachst?
JF: Wir als Planer gehen prinzipiell davon aus, dass es wichtig ist, alle Entscheidungen so spät wie möglich zu treffen. Mit dem Ziel zum jeweiligen Zeitpunkt mehr planungsrelevante Informationen zu haben und mehr Personen in den Entscheidungsprozess mit einbeziehen zu können. Und natürlich, um nicht am Anfang in eine Richtung zu gehen, die sich später als problematisch herausstellt. Deswegen sind wir dafür, Entscheidungen möglichst spät zu fällen. Trotzdem gab es Situationen in denen es notwendig wurde. Erster Schnitt: Okay, wir wollen Gemeinschaftsflächen haben. Das mussten wir entscheiden, weil die Bank nach der Finanzierung des Gebäudes gefragt hat. Zweiter Schnitt: Wo sollen diese Flächen liegen – auf den einzelnen Etagen, auf dem Dach, zur Straße orientiert? Das mussten wir entscheiden als die Wohnungen vergeben werden sollten. Aber eben keine Sekunde vorher. Dritter Schnitt: Wie groß sollen die Gemeinschaftsflächen werden? Das war eine Frage, die vor dem Hintergrund der Ökonomie des Hauses relevant wurde, aber auch weil diese Entscheidungen zusammenhängen mit dem Wunsch nach einem Arbeitsraum oder der Platzierung des Eingangs. Weiter zu klären war dann, welche Möglichkeiten er bieten soll, wo die Zugänge liegen können, ob es eine Küche, ein Bad oder eine Treppe gibt, wie man den Raum gliedert und ob man ihn zweigeschossig plant. Das waren aber immer nur die minimal notwendigen Festlegungen, um sich nichts zu verbauen.
Unabgeschlossene Prozesse und ihre Kurzschlüsse
CB: Ihr als Planer habt euch vorgenommen, Entscheidungen so spät wie möglich zu treffen. Ist das ein offenes Prinzip? Wissen alle in der Gruppe, dass es dieses gibt und wie geht man damit um?
JF: Die Gruppe weiß das nicht, ahnt es aber inzwischen wohl. Wir haben es so nie ausgesprochen und auch wir wussten es vorher nicht. Das Prinzip ist allerdings kein unbekanntes. Lucius Burkhardt hat es formuliert; wir arbeiten damit. Vielleicht entspricht es auch ganz selbstverständlich unserer Art, keine Entscheidungen zu fällen, wenn man nicht weiß, was sie bringen. Dinge nicht oder später zu entscheiden ist ein wichtiger Teil unserer Planungspraxis. Das haben wir in diesem Prozess sehr stark gemerkt. Das fällt besonders auf, wenn die Leute sagen: Jetzt entscheidet das endlich mal, ihr seid doch die Architekten. Andere wieder sagen: Nein, wir wollen es lieber so haben und nicht wie die Architekten. Insofern merkt man, dass wir in einigen Bereichen des Hauses relativ intensiv mit dieser Verzögerung arbeiten. Das kostet Zeit und Nerven. Aber es hilft, Fehler zu vermeiden. Und es macht mehr Spaß.
CB: Das ist also ein Prinzip, das theoretisch formuliert und vorhanden ist, sich aber quasi automatisch mit der Prozesshaftigkeit trifft, ohne dass man es sich vornehmen müsste. Ich habe das in einem euerer Gruppentreffen miterlebt, als Christoph Heinemann gesagt hat: Ja, das ist eine wichtige Diskussion, aber wir müssen das nicht jetzt entscheiden.
JF: Man könnte auch sagen, dass der Prozess nur dann vorhanden ist, wenn er eben nicht abgeschlossen ist. Also besteht der Prozess per se aus einer Verschiebung von abschließenden Entscheidungen. Das ermöglicht erst den Prozess – dass man ihm eine gewisse Zeitspanne einräumt, dass man Stufen einbaut und Bewegungen ermöglicht, dass man etappenweise vorangeht.

CB: In eurer Heftvorstellung mit der ARCH+ hattet ihr dieses kleine Diagramm. Am Ende habt ihr dort vier Wege oder Ansätze dargestellt. Einer davon war dieses Verzögern, das Zurückgeben von Fragen in den Prozess. Ein anderer war die Suche nach situativen Standards. Also der Wunsch nach Lösungen mit einer gewissen Art von Allgemeingültigkeit, aber eben keiner absoluten. Das heißt, eure Planungsbewegung pendelt zwischen diesen beiden Polen?
JF: Insbesondere bei diesem Projekt. In der Form, dass man versucht allgemeine Annahmen im Sinne der Gruppe, aber auch im Sinne einer Einfachheit, Gewöhnlichkeit oder Alltäglichkeit zu treffen. Und eben nicht versucht, alles auszuspezifizieren und wenn man spezifiziert, das nicht ohne Not zu tun. Also wirklich zu überlegen, wo es Sinn macht bestimmte Entscheidungen zu fällen und wo es Sinn macht, die Entscheidungen wieder anderen zu überlassen oder später zu fällen oder nicht zu fällen. Das klingt nach dem Widerspruch zwischen Freiheit und Disziplin oder Mitbestimmung und paternalistischer Planung. Dieses komplizierte Verhältnis habe ich in dem Diagramm versucht darzustellen. Wenn man die Idee einer paternalistischen Planung aufgibt und den Architekten nicht mehr als denjenigen versteht, der die richtigen Lösungen parat hat, darf das nicht dazu führen, dass man keine Entscheidungen mehr treffen kann. Vielleicht kann man sie nicht selber treffen, vielleicht kann man sie nur in der Gruppe treffen. Oder man kann sie nur in einem längeren Prozess treffen. Oder sie beziehen sich nicht auf ein architektonisches Objekt, sondern auf den Weg, den man genommen hat oder die Fragen, die man gewählt hat. Etwas zu individualisieren heißt auch nicht unbedingt im Zwiegespräch mit den Nutzern eine passgenaue architektonische Form zu entwickeln, sondern genauso deren Ansätze zurückzuspielen oder sie auf andere Ideen zu bringen.
CB: Als Planer in einem solchen Prozess seid ihr in eurem Handeln von Beginn an relativ selbstreflexiv. Ihr überdenkt, was ihr tut und was geschieht, weil es zu eurer Aufgabe gehört. Die Baugruppe tut das anfänglich vielleicht nicht. Welche Entwicklung lässt sich dort feststellen? Verändern sich die Einstellungen der Gruppenmitglieder oder die Gesprächskultur? Gibt es also Rückschlüsse aus dem Prozess, die wiederum den Gang des Prozesses beeinflussen?
JF: Mittlerweile sind die Leute in der Lage, ihre Fragen oder Einwände knapper und klarer zu formulieren. Anfänglich gab es oft relativ lange Redebeiträge bei den Treffen. Es haben sich außerdem gewisse Unterschiede ausgeglichen. So gibt es beispielsweise einige, die extrem gruppenerfahren sind. Andere wiederum machen das fast zum ersten Mal. Diese unterschiedlichen Ausgangspositionen haben sich angenähert. Darüber hinaus gibt es im Prozess natürlich ein Anwachsen von projektbezogener Fachkenntnis. Die Leute wissen eben jetzt, was ein Haustechniker ist, das die Baugrube zuerst kommt und so weiter. Auffallend an unserer Gruppe ist weiter, dass sie von Anfang an zu einem großen Teil sehr bewusst und kritisch mit Fragen von Wohneigentum, Gentrifizierung oder Stadtentwicklung umgegangen ist. Insbesondere diejenigen, die aus dem politisierten Kunstkontext kommen, kennen natürlich die problematische Rolle von Kultur in Aufwertungsprozessen und die zugehörigen Diskurse. Zudem gab es immer das Interesse an alternativen sozialen Formen, was das Projekt von Anfang an relativ anspruchsvoll gestaltet hat. Mit der Baugruppe wird alles viel konkreter. Vorher waren es abstrakte Themen. Dann stellt sich plötzlich die Frage: Was können wir machen? Wir wollten doch nicht hierarchisch sein. Diese Fragen kommen natürlich. Es zeichnen sich zwar Unterschiede zwischen den Leuten ab, aber es entwickeln sich auch Gesprächsformen, die besser funktionieren als am Anfang und so auch komplizierter werden.
Experten für Leben: gefühlte Richtigkeit und Rechtfertigung
CB: Was geschieht in Situationen, wo sich die Fronten verhärten, wo sich keine Lösungen abzeichnen und man nicht mehr verschieben kann?
JF: Da muss man vorsichtig sein. Nach Möglichkeit verschieben wir solche Entscheidungen tatsächlich – was auch planerisch eine Herausforderung sein kann. Ansonsten machen wir ab und an einen kleinen Kunstgriff. Ob strategisch, unbeabsichtigt oder einfach nur praktisch – dann bringen wir die Rolle des Architekten ins Spiel und sagen: Wir haben uns die Situation nochmal angeschaut. Es gibt diese beiden Aspekte, die nicht richtig in Abgleich zu bringen sind. Wir haben etwas entwickelt, was keines von beiden ist. Aber wir finden es noch viel besser. Das befriedigt dann keine der Seiten oder beide. Es gibt also bestimmte Momente, in denen man die Architektenrolle annimmt und was erfindet. In der Regel ist das nicht besser als die beiden anderen Vorschläge, funktioniert aber auf einer Art Moderationsebene.
CB: Das hört sich ziemlich empathisch an. Eingangs haben wir diskutiert, dass ihr einen Weg findet, zugeschriebene Kompetenzen abzugeben und eben nicht diese Position des Architekten einzunehmen. Auf der anderen Seite kommt ihr aber doch wieder dahin, diese Rechtfertigung aufzunehmen. Das heißt, auch diese Rollenzuschreibungen sind nicht statisch, sondern werden immer wieder neu angepasst?
JF: Das ist so nicht ganz richtig. Denn es gibt natürlich auch in unserer Gruppe von sechs bis sieben ArchitektInnen verschiedene Herangehensweisen. Während unter anderem ich dazu tendiere, die De-Professionalisierung stark zu verteidigen, finden andere die übliche Annahme weniger problematisch, dass ein Architekt viel Erfahrung, Fachwissen und gute Ideen hat, die die Menschen glücklich machen können. Das sehe ich sehr skeptisch. Wobei das auch die Dynamik im Arbeitsprozess zwischen uns allen ausmacht. Wir müssen andauernd etwas behaupten und entwickeln. Wir können nicht immer nur die Fragen stellen. Daraus resultiert manchmal die – wenn auch wenig bewusste – Notwendigkeit, als Experte aufzutreten und zu sagen: Das geht nicht. Das wird sehr teuer. Das hält nicht. Ich finde dabei dann interessant, zu schauen, als welche Form von Experte man auftritt. Gilt man als technischer Experte, der weitergibt was der Stand der Technik ist? Dann bezieht man sich wiederum auf andere Experten. Man sagt zum Beispiel etwas, weil es vom Bodengutachten so vorgegeben wird. Dann kann man dieses in Zweifel ziehen. Oder argumentiert man als Experte für Leben? Und sagt: Das Bad muss da sein, sonst läufst du dir die Hacken wund. Und dann sagen sie Leute: Nee, Jesko hat echt keine Ahnung. Oder ist man der Experte für soziale Prozesse? Oder sagen wir einfach, was schön ist? Das sind die Punkte, an denen man hinterfragen muss, was man selbst als Fachwissen anführt. Eben auch, damit die anderen wissen, woher die Aussagen kommen. Ich finde es da mindestens fair, preiszugeben, auf welches „Fachwissen“ man sich bezieht.
CB: Das kommt dem nahe, was Luc Boltanski in seinem Buch „Über die Rechtfertigung“ beschreibt. Er zeigt verschiedene Rechtfertigungssysteme auf und behauptet, dass diese für jedermann funktionieren ohne dass man sie sich aneignen müsste. Es ist dann interessant, an welchen Stellen man zwischen den verschiedenen Rechtfertigungssystemen wechselt, weil sich diese durchaus widersprechen und eben nicht in ihrer Gesamtheit konsistent sind.
JF: Ja, aber man zieht teilweise auch aus einer gefühlten Richtigkeit verschiedene Rechtfertigungssysteme heran. Mann kommt also nicht über die Rechtfertigung zu einer Annahme, sondern ist irgendwie bei der Annahme und dann kommen die Rechtfertigungssysteme hinzu. Gerade in Präsentationen und Diskussionen an Baugruppenabenden merkt man sehr schnell, dass man selber permanent andere Systeme und Annahmen heranzieht, die ganz woanders herkommen, um Dinge zu legitimieren. Es wäre sicher ziemlich interessant das aufzuschlüsseln.
Gentrifizierung, Robustheit und kulturelle Aufwertung
CB: Du hast davon gesprochen, dass in der Gruppe, auch aus beruflichen Gründen, Auseinandersetzungen mit Fragen der Stadtentwicklung stattfinden; Stichwort Gentrifizierung. Gibt es in der Positionierung zu solchen Themen einen Gruppenkonsens?
JF: Ich würde es nicht Konsens nennen. Es gibt eine Grundhaltung. Vielleicht auch eher ein Spektrum. Auf der einen Seite Leute, die eine Genossenschaft oder eine extreme Form der Kollektivierung für unser Vorhaben interessant fanden. Wenn auch eher theoretisch, weil es praktisch-ökonomisch nicht umsetzbar schien. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die sagen: Wir brauchen eine gute Wohnung und zu viel Gemeinschaftsfläche muss es auch nicht sein. Das geht relativ weit auseinander. Im Vergleich zu dem was ich an Baugruppen in Berlin kenne, gibt es aber eine gewisse Übereinkunft, dass man versucht, darüber hinaus zu gehen. Sowohl dahingehend wie das Haus intern sozial gedacht ist, als auch als baulich-städtisches Experiment.
CB: Ihr habt euch vor eurer Bewerbung das Grundstück und das Quartier in dem es liegt angeschaut. Wie stellst du dir die Funktion des Hauses für dieses Gebiet vor?
JF: Das Gebiet ist ziemlich arm und es ist heterogen. Es wendet sich ein bisschen nach Mitte, ein bisschen nach Kreuzberg. Es gibt 50er und 80er Jahre Bebauung. Es gibt relativ große Brachen, Grünräume und teilweise auch Industrieareale in dieser Ecke. Es ist ein Gebiet, das noch nicht an die Entwicklung wie in Mitte, Prenzlauer Berg oder auch Kreuzberg 36 angeschlossen ist, wo sich bestimmte homogenere Milieus oder räumliche Sozialstrukturen ausbilden. Das finde ich erstmal gut. Es liegt günstig und ist fußläufig gut an den öffentlichen Verkehr angeschlossen. Es fällt uns aber schwer, das Gebiet – sagen wir mal – sozialgeographisch zu betrachten, uns zu fragen: Welche Defizite gibt es? Was wird gebraucht? Und aus diesen Fragen dann Ansätze abzuleiten. So, dass man sagen könnte: Ein Haus mit vergleichsweise wohlhabenden, jungen, kreativen, sozial engagierten Leuten, die irgendwann ein Straßenfest veranstalten und einen Bio-Laden aufmachen bringt dem Gebiet etwas, weil es eine soziale Identität oder ein Netzwerk schafft. Oder es bringt dem Gebiet nichts, weil es der türkischen Community egal ist, ob irgendwelche Leute am Sonntagnachmittag Fahrräder reparieren, da es mehr ums Auto geht. Wir haben es eher dahingehend erörtert, wie resistent das Gebiet gegen Gentrifizierung ist und andererseits, wie stark unser Bauprojekt gentrifizierende Dimensionen hat.
CB: Zu welchen Ergebnissen seid ihr gekommen? Für den Prozess habt ihr es „Robustheit“ genannt. Kann man das auch auf das Gebiet übertragen?
JF: Das Gebiet ist insofern relativ gentrifizierungsresistent, weil es kaum Altbaustruktur gibt. Gerade diese ist ja in ihrer Flexibilität in der Lage, die verschiedenen Funktionen aufzunehmen – vom Biobäcker bis zu größeren Wohnflächen. In diesem Gebiet gibt es normierten sozialen Wohnbau mit den zugehörigen Größen, Zuschreibungen und gefühlten ästhetischen Defiziten. Das macht das Gebiet auf eine bestimmte Art und Weise schwerfällig in der Reaktion auf Aufwertungstendenzen. Natürlich gibt es gleichzeitig die Privatisierung des sozialen Wohnungsbaus. Aber ich glaube, es wird hier nicht denselben Prozess geben, wie wir ihn aus Gründerzeitquartieren in Berlin kennen. Die Ecke ist auch zu disparat, eine vergleichbare Fußläufigkeit oder Dichte wird sich dort nicht formen. Wir haben versucht, das städtebaulich in das Haus einzuschreiben. Indem das Freiraumkonzept eben nicht als straßenbegleitendes geplant, sondern als fließender Grünraum angelegt ist. Oder indem wir das Haus eher wie einen Bürobau aussehen lassen und nicht wie ein Townhouse-Projekt. So kann man das Projekt vielleicht auf städtebaulicher Ebene im Gebiet positionieren. In dem Sinne, dass es die vorhandenen Verwertungsresistenzen in Bezug auf diese klassischen Entwicklungen eher stützt und nicht grundlegend bricht. Die Vorgabe war ja, mit einer Straßenrandbebauung den benachbarten IBA-Block zu verlängern und so einen blockartigen Stadtraum herzustellen. Das ist aber nur ein Aspekt der Frage inwiefern ein solches Projekt auf ein Gebiet wirkt. Gentrifizierung ist ein Prozess, den man erst dann beobachten kann, wenn er eine gewisse Größe angenommen hat. Ein Haus macht keine Gentrifizierung. Die Frage ist ja: Was kommt danach noch und wie wirkt es sich aus? Klar gibt es solche Indikatoren wie Ritter Butzke, das neue Aufbau Haus, die Prinzessinnengärten, die in dieser Diskussion eine Rolle spielen. Und natürlich kann es sein, dass es eine Tendenz verstärkt, wenn man noch einen Projektraum hinzu gesellt. Andererseits finde ich aber auch, dass es nicht das Ergebnis der Kritik an der Gentrifizierung sein kann, sich jeder Form von kultureller oder sozialer oder freizeitlich-privater Aktivität zu verweigern. Man muss unterscheiden zwischen dem Prozess der Spekulation und dem Prozess der kulturellen Transformation in bestimmten Bereichen. Die kulturelle Transformation halte ich für einen wichtigen, elementaren Bestandteil städtischer Prozesse. Die Immobilien-Spekulation halte ich für eine Schweinerei. Und das ist in unserer inneren Konstitution mit dem GBR-Vertrag formuliert. Das Projekt ist nicht auf Spekulation ausgelegt. Das rührt nicht allein daher, dass ein Vorkaufsrecht für die Gruppe festgeschrieben ist oder daher, dass man nicht einfach ausziehen und die Wohnung teuer beliebig vermieten kann, sondern ist gleichfalls im Haus selbst angelegt. Man könnte sagen, es zeigt bestimmte Schäden: Es hat nicht diese Wertigkeit, es hat den Umlauf, der alle Wohnungen auch ein Stück weit verletzt oder verbindet, es hat Standardbäder. Das sind architektonische Versuche, die von der Gruppe getragen werden, um auf allen Ebenen – vom Vertrag über das Soziale bis zum Gebäude – diese Form von Aufwertung auch innerhalb des Hauses im Griff zu behalten. Was natürlich nicht heißt, dass man nicht irgendwann Parkett hinein legen kann.
Repräsentation, Verweigerung und die Schönheit eines Prozesses
CB: Euer Projekt ist ein komplexes Vorhaben. Sowohl durch die vielfältigen Belange der Baugemeinschaft als auch in der städtischen Dimension. Nun geht es bei Entwicklungen in urbanen Räumen immer auch um Öffentlichkeit und Repräsentation. Die Punkte, die du geschildert hast, alles was in den Prozess und im Speziellen ins Haus einfließt – denkst du, dass es irgendeine Form von Oberfläche gibt, die das repräsentiert? Gibt es für die städtische Öffentlichkeit oder vielleicht auch nur für denjenigen, der am Haus vorbei läuft eine Ebene der Abbildung? Wird man dem Haus am Ende vielleicht ansehen können, welchen Prozess es durchlaufen hat?
JF: Ich glaube nicht, dass man den Prozess am Haus ablesen kann. Aber was das Haus sichtbar in die Stadt trägt ist eine Verweigerung gegenüber bestimmten Erscheinungsformen. Es sieht nicht aus wie ein normales Wohnhaus, sondern eher nach Bürobau. Die städtischen Planer haben es für einen solchen gehalten, allein wegen des Umlaufs. Auch in seiner Position lässt es sich schwer zuordnen. Es ist Teil des angrenzenden 50er Jahre Gebietes, das es weiter baut, und dennoch straßenzugewandt. Insofern regt es eher dazu an, die normalen Erklärungsmuster, wie ein Haus funktioniert zu unterbrechen und bietet dann die Möglichkeit, herauszufinden, was es tatsächlich ist. Ich denke nicht, dass die Form das zeigt, sondern dass sie Hinweise gibt, was es nicht ist und was es denn sein könnte. Es gibt zum Beispiel diesen großen Gemeinschaftsraum und dort brennt nachts Licht. Da kann man vielleicht rein schauen und wird sich wundern, was da (nicht) los ist. Auf der Dachterrasse sitzt vielleicht jemand in Badehose oder die Nachbarn sehen den Garten und es ist nicht klar, ob es überhaupt einer ist, man da reingehen kann oder nicht. Vielleicht ist der auch irgendwann nicht mehr zugänglich, weil die Leute ihre Hunde hineinführen oder irgendwelche Drogenexperimente veranstalten. Daran schließt die Frage nach der Grenze des Grundstückes an. Aber es stellen sich auch andere formale Fragen, die zum Beispiel bei der Gestaltung der Wohnungen wichtig sind: Welche sozialen Muster begleiten solche Aufwertungsprozesse oder welche Lebensstilmodelle transportieren diesen Wert? Ich finde es interessant auch auf diesen Ebenen Alternativen zu entwickeln.
CB: Als es im Rahmen der Heftvorstellung darum ging, dass ihr das Projekt präsentiert, obwohl es noch nicht abgeschlossen ist, hat Christoph Schmidt erklärt, dass die Repräsentation des Hauses eigentlich im Prozess liegt. Für die Bewertung von Architektur sehe ich das als wichtigen Punkt. Denn damit sagt man, dass euer Haus eben nicht nur in seiner Entwicklung durch dieses Heft abgebildet wird, sondern auch in seiner Gestalt. Trotzdem gab es am Ende eine Wortmeldung, die sich nach der architektonischen Form erkundigt hat. Es hat sich fast abstrus, ja deplatziert angefühlt, diese Frage zu hören. Plötzlich war es so, als ob die ganze vorherige Diskussion überhaupt nicht stattgefunden hätte. Dann steht diese Frage im Raum und man fasst sich trotzdem nicht gleich an den Kopf.
JF: Das ist eine interessante Perspektive. Darin liegt aber auch die Gefahr, den Prozess als das Wesen des Hauses zu beschreiben. Und dann kann man nämlich immer sagen: Okay, das ist der Prozess. Wie war es? Alles okay? Was kam raus? – Sieht scheiße aus. I don’t care for the process. Oder es ist zu teuer oder hält nicht oder die Leute bringen sich um usw. Der Fehler liegt darin, dass das Formale Ergebnis als einzige Wertungsdimension gesehen wird. Das ist der klassische Fehler, dann die Form und eben vorher nicht den Prozess zu kritisieren. Ich glaube trotzdem, dass es wichtig ist, den Prozess nicht als einen Wert an sich zu verstehen, sondern als ein Verfahren zu begreifen, das bestimmte Werte ermöglicht. Das können ästhetische, formale, technische, soziale oder ökonomische Werte sein. Man muss sich die Frage gefallen lassen: Was bringt dieser Prozess? Worauf baut er auf und wo will er hin? Wie bewegt er sich? Erst dann steht man zwischen diesen beiden Seiten: „Wie sieht das Ding aus? – Keine Ahnung, aber ich habe doch einen geilen Prozess.“ Den Prozess schön zu machen oder wichtig zu nehmen sollte dasselbe bedeuten wie das Ergebnis ernst zu nehmen. Die Frage lautet: Was ist die Schönheit des Prozesses? Ist es die Konflikthaftigkeit? Ist es der Spareffekt, der am Ende herauskommt? Oder ist es der Mehrwert der dadurch entsteht, dass man sich gegenseitig bereichert?